Sie gehören zu den schlimmsten Geißeln Afrikas: Trypanosoma brucei und verwandte Arten, die Erreger der unbehandelt tödlich verlaufenden Schlafkrankheit. Seit Jahrzehnten versuchen Regierungen und Hilfsorganisationen, des Schreckens Herr zu werden.

Die Zahl der gemeldeten Neuerkrankungen ist immerhin auf unter 10.000 pro Jahr gesunken. "Das größere Problem sind die Schäden für die Viehzucht", erklärt Wolfgang Miller, Evolutionsgenetiker an der Medizinischen Universität Wien, im Gespräch mit dem Standard. Die Trypanosomen befallen auch zahlreiche Nutztiere, die Schäden für die ­Agrarwirtschaft belaufen sich schätzungsweise auf 4,5 Milliarden US-Dollar jährlich – ein gewaltiges Entwicklungsproblem.

Die Krankheitserreger werden von blutsaugenden Tsetsefliegen der Gattung Glossina übertragen. Seuchenbekämpfer versuchen durch Vernichtung der Fliegenpopulationen die Verbreitung der Schlafkrankheit zu stoppen. Ein beeindruckender Erfolg gelang diesbezüglich auf der Insel Sansibar. Dort wurde die Tsetsefliege mittels der massenweisen Freisetzung steriler Männchen ausgerottet. Man hatte die Tiere zuvor mittels radioaktiver Bestrahlung unfruchtbar gemacht. Die wildlebeden Artgenossinnen paarten sich dennoch mit ihnen und bekamen keinen Nachwuchs mehr. Fachleute bezeichnen diese Methode als Sterile-Insekten-Technik (SIT).

Wolfgang Miller und seine Doktorandin Daniela Schneider sind Mitglied in einer neu gegründeten internationalen Arbeitsgruppe zur Verbesserung der Bekämpfung von Trypanosomen und ihrer Überträger. Eine komplexe Aufgabe, denn Tsetsefliegen sind ziemlich außergewöhnliche Kreaturen. Anders als die meisten Insekten legen die Weibchen keine Eier – sie sind lebendgebärend.

Aufwändige Fortpflanzung

Die Anatomie der Glossina ist dementsprechend speziell. Weibliche Tiere verfügen über einen Uterus und sogar über eine interne Milchdrüse. Die Eizellen entwickeln sich einzeln. Wenn eine von ihnen vom Eierstock kommend in den Uterus eintritt, wird sie umgehend befruchtet.

Die Spermien wurden zuvor bei einer Paarung eingebracht. Aus dem befruchteten Ei schlüpft ungefähr vier Tage später eine Larve. Diese bleibt während drei aufeinanderfolgender Entwicklungsstadien im Mutterleib und ernährt sich dabei von einem Futtersekret, welches von der Milchdrüse produziert wird.

Nach gut fünf Tagen legt die Fliege die vollständig entwickelte Larve an einem geschützten Ort ab. Die Made gräbt sich sofort ein und verpuppt sich. Jetzt braucht sie nur noch unterirdisch die Metamorphose zum geschlechtsreifen Insekt zu durchlaufen. Ein Tsetsefliegen-Weibchen bringt im Laufe seines Lebens nur fünf bis zehn Junge zur Welt. Das reicht, um den Fortbestand der Art zu sichern – dank der aufwändigen Vermehrungsstrategie.

Ein weiteres faszinierendes Merkmal der Tsetsefliege ist ihre Symbiose mit verschiedenen Bakterien, vor allem solche der Gattungen Wolbachia, Sodalis und Wigglesworthia. Letztere spielen für die Fliegen offenbar eine besonders wichtige physiologische Rolle: als Nahrungsmittelergänzer. "Blut ist eigentlich eine vitaminarme Kost", betont Wolfgang Miller. Wigglesworthia ist allerdings in der Lage, genau die fehlenden Vitamine zu synthetisieren. Die Bakterien leben in speziellen Zellen im Körper der Fliege sowie in der Milchdrüse.

Genetischen Analysen zufolge wurde die Allianz zwischen Glossina und Wigglesworthia schon vor 50 bis 80 Millionen Jahren geschmiedet. Beide Gattungen haben sich seitdem gemeinsam entwickelt. In der Natur kann keine mehr ohne den anderen existieren. Jede Tsetsefliegenlarve bekommt noch vor ihrer Geburt eine eigene Wigglesworthia-Population verabreicht – buchstäblich mit der Muttermilch.

Die Bakterien fungieren anscheinend nicht nur als Vitaminlieferanten, sie haben wohl auch einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Immunsystems ihres Wirts. Der Nachwuchs von Fliegenweibchen, die zuvor mit Antibiotika behandelt wurden, ist kaum noch resistent gegen Parasiten. Diese Beobachtung ist für die Medizin von großem Interesse. "Die Trypanosomen sind auch eine Krankheit der Tsetsefliege", wie Miller erklärt. Die Insekten versuchen, die einzelligen Erreger abzuwehren. Oft mit Erfolg. In Burkina Faso zum Beispiel sind weniger als zehn Prozent der Fliegen mit Trypanosoma infiziert, sagt Miller. Wäre dieser Anteil höher, stiege das Krankheitsrisiko für Mensch und Vieh dramatisch an.

Symbionten mit Potenzial

Wolbachia, ein auch bei anderen wirbellosen Tieren häufig vorkommender Symbiont, scheint ebenfalls eine positive Wirkung auf das Fliegen-Immunsystem zu haben. Allerdings manipulieren diese Bakterien ihren Wirt so stark, dass er sogar partiell unfruchtbar werden kann. Von unterschiedlichen Wolbachia-Stämmen besiedelte Tsetsefliegen können sich nicht mehr untereinander fortpflanzen. Die Larven sterben noch während der Embryonalentwicklung.

Für Wolfgang Miller und seine Kollegen birgt die weitere Erforschung der Symbionten ein enormes Potenzial. Zum einen ließe sich mittels der Freisetzung großer Mengen Tsetsefliegen-Männchen, welche Träger eines inkompatiblen Wolbachia-Stammes sind, ein ähnlicher Effekt wie bei der SIT erzielen. Andererseits wäre es auch denkbar, genetisch veränderten Bakterien mit tödlicher Wirkung auf Trypanosomen in eine Fliegenpopulation einzuschleusen. "Das wäre dann die Impfung", meint Miller. Politisch jedoch wäre eine solche Strategie vorerst wohl nicht durchsetzbar, so der Wissenschafter.

Stattdessen wollen die Forscher zunächst versuchen, Wolbachia & Co zur Verbesserung der SIT-Methode zu nutzen. Die Verbreitung großer Mengen steriler Männchen hat nämlich einen Haken: Die Unfruchtbaren saugen genau wie ihre wilde Artgenossen Blut und kommen so leicht mit Trypanosomen in Kontakt. Die Bestrahlung könnte allerdings ihren Symbionten geschadet und somit ihr Immunsystem beeinträchtigt haben. Die Schlafkrankheit-Erreger hätten dann ein leichteres Spiel. Während einer SIT-Kampagne könnte das Infektionsrisiko für die lokale Bevölkerung dadurch vorübergehend sogar steigen.

Wenn man nun genau wüsste, über welche Bakterien eine richtig gesunde, resistente Tsetsefliege verfügt, dann könnte man diese den sterilisierten Männchen vor deren Freilassung verabreichen, erklärt Wolfgang Miller. Es sei erfreulich, dass solche Studien nun mit Förderung der internationalen Gemeinschaft vorangetrieben werden. "Weil die Schlafkrankheit ein rein afrikanisches Problem ist, gibt es kein kommerzielles Interesse." (Kurt de Swaaf /DER STANDARD, 12.6.2013)